Von unschätzbarem Wert: Die alltägliche Arbeit eines Hausarztes

Einer der vielen Helden des Gesundheitssystems: Dr. med. Alain Keller, ein engagierter Hausarzt aus Bern. Wir, die Autorinnen dieser Reportage, haben einen Arbeitsalltag miterlebt und zeigen die gewährten Einblicke von seinem Berufsleben auf. Was treibt Dr. Keller an Tag für Tag für das Wohlbefinden seiner Patient*innen zu sorgen?

Um 08:30 Uhr, spät für gewöhnliche Berufe fängt die Arbeit eines Hausarztes an. Von entspannter Arbeit ist jedoch nicht die Rede. Der Tag fängt mit einer kurzen Besprechung mit den anderen Ärztinnen und medizinische Praxisassistentinnen - kurz gesagt den MPAs -in der Praxis an, um die täglichen Aufgaben zu besprechen. Es ist beeindruckend, wie strukturiert und doch gleichzeitig flexibel diese Besprechungen ablaufen. Anschliessend kommen die ersten Patientinnen zu ihrem Termin. Wir können die Routine schnell erkennen, die sich in der Praxis eingespielt hat. Von Blutabnahmen bis zu langen und regelmässigen Besprechungen ist alles dabei. Jeder Tag ist anders. Hausärztinnen und Hausärzte sind täglich mit anderen Problemen, die sie während den Sprechstunden erkennen und lösen müssen, konfrontiert. Bei solchen Sprechstunden kann es vorkommen, dass die Patientinnen plötzlich einen Strauss voller Probleme mit sich bringen.  Zu unterscheiden, welches Symptom zu welcher gesundheitlichen Beschwerde gehört, ist nicht leicht und kann dauern. Uns ist klar, dass diese Arbeit nicht zu unterschätzen ist, auch wenn wir als Patient*innen lieber direkt unsere Diagnose erhalten würden. Hausärztinnen und Hausärzte sind wie Freunde zu sehen und nicht wie Maschinen, die Diagnosen herausspucken. Unabhängig davon wie organisiert Hausärztinnen und Hausärzte sind, ohne die MPAs würde nichts laufen. Sie sind für die Organisation in der Praxis zuständig, sorgen dafür, dass alles wie gewollt abläuft und unterstützen die Hausärztinnen.

 

Auszug aus dem Interview mit Alain Keller, Hausarzt.
Dr. med. Alain Keller:
Dr. med. Alain Keller (55) ist seit 13 Jahren 
in seiner eigenen Praxis beim Münzgraben,
in Bern als Hausarzt tätig. 
Wie einige Jugendliche hatte er 
auch keine genauen Vorstellungen, 
was seinen Berufswunsch angeht. 
Nach der obligatorischen Schulzeit
fing er eine KV-Lehre an. 
Diese hat er abgeschlossen und besuchte
später das Gymnasium und schloss erfolgreich 
mit der Matura ab. 
Durch Zufall und ein wenig Bauchgefühl 
entschied sich Alain Keller, Medizin zu studieren, 
wie er mitteilt. 
Diese Entscheidung bereut er keines wegen.

Schokolade, ein Zeichen der Wertschätzung?

 „Wir sind Menschen und keine Maschinen“
- Dr. med. Alain Keller, Hausarzt

Beim Gespräch mit Dr. Keller wird uns schnell klar, dass es in seinem Beruf nicht immer um Medizin geht. Der Beruf ist anspruchsvoll, ein Hausarztin ist immer wieder mit neuen Problemen konfrontiert. Man befindet sich immer wieder in Stresssituationen, wenn man als Hausarzt oder als Hausarztin tätig ist. „Wir sind Menschen und keine Maschinen“, sagt Alain Keller. Diese Worte von ihm bleiben uns besonders im Gedächtnis, denn sie zeigen deutlich, dass Arztsein auch eine menschliche Seite hat. So muss man als Hausarzt genug Zeit für seine Patientinnen und Patienten investieren, immer ein offenes Ohr haben, damit man auch zu einer guten Diagnose kommt. Während unseres Besuches in der Praxis können wir beobachten, dass A. Keller sich Zeit für jeden einzelnen Patienten nimmt und immer sehr aufmerksam zuhört. Bessere Voraussetzungen gibt es nicht, um einem zielführenden Behandlungsplan nachzugehen und dafür zu sorgen, dass die Patientin möglichst viel davon profitieren. Zu seiner Motivation, jeden Tag diesen Beruf auszuüben, gehört zum grössten Teil die Wertschätzung seiner Arbeit von den Patientinnen und Patienten. A. Kellers Augen leuchten, als er von den kleinen Gesten der Dankbarkeit erzählt, die er regelmässig erhält. Wie schön dieser Beruf auch sein mag, das Administrative macht keiner gern. Ein leichtes Lächeln macht sich sichtbar, als A. Keller von seiner Ungeduld bei administrativen Arbeiten als seine Schwäche beschreibt. Seine Ungeduld hat jedoch bei Sprechstunden keinen Platz, denn er hört sehr geduldig und aufmerksam den Patienten und Patientinnen zu, um sie besser zu verstehen. Während den Sprechstunden ist festzustellen, dass das Wohl seiner Patientinnen ihm wirklich am Herzen liegt. Diese Wertschätzung hat sich zum Beispiel bei einer von vielen Patientinnen durch Schokolade gezeigt. Eine alte sympathische Dame hat Schwierigkeiten - aufgrund ihres hohen Alters - mit der baulichen Situation ihrer Altstadtwohnung. Ein nicht wirklich medizinischer Fall auf den ersten Blick, dennoch kommt A. Keller zur Hilfe. Er als Hausarzt hat die Verwaltung kontaktiert, um der Dame zu ermöglichen, länger in ihrer Wohnung zu bleiben und das mit Erfolg. Wir sind gerührt von dieser Geschichte und können die Dankbarkeit der Dame nachvollziehen. Als Dankeschön für diese Aktion brachte die alte Dame Schokolade für die ganze Praxis mit. Das sind Glücksmomente, wie A. Keller sie bezeichnet. Aber es gibt auch unschöne Geschichten, die man zu erleben bekommt, wenn man als Hausarzt tätig ist. Diese Erlebnisse lassen uns erkennen, dass der Beruf auch eine gewisse emotionale Belastung mit sich trägt. Zu den unschönen Aspekten zählen für A. Keller einerseits die Mitteilung von schlechten Diagnosen. Andererseits aber auch die Sterbebegleitung. A. Keller spricht nachdenklich über diese schwierigen Momente, was verdeutlicht, dass solche Situationen auch für einen Arzt berührend sind. Menschen sterben irgendeinmal und die Sterbebegleitung gehört zum festen Bestandteil der Hausarztmedizin. Es ist eine schwierige Situation, wie sie Alain Keller beschreibt. Eine schwierige Situation für die betroffene Person, aber auch für die Angehörigen. Laut A. Keller sei das nicht immer so einfach.

Das Büro von Dr. med. Alain Keller
(Foto: Thuwaraka Amalathas)

«Antennen-Ohren»

Als Hausarzt verfügt man nicht über die Fähigkeit, sich in die Patientinnen und Patienten hineinzuversetzen, um den Schmerz dieser zu spüren. Nebst dem Aufstellen von guten Diagnosen und einem möglichst profitablen Behandlungsplan für die Patientinnen und Patienten ist auch das genaue Achtgeben Teil der Aufgabe eines Hausarztes.

„Jeder Mensch ist ein bisschen eine eigene Welt“
- Dr. med. Alain Keller, Hausarzt

Wir spüren, wie wichtig ihm die Sorgfalt in seiner Arbeit ist, um seine Patient*innen gesundheitlich wieder gut fühlen zu lassen. Manchmal muss er recht hartnäckig sein, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Harte Arbeit ist zu leisten, da die Patienten und Patientinnen ohne Etikette mit der Diagnose auf der Stirn tragend in die Praxis kommen. Es gibt einfachere als auch komplexere Fälle. Jedoch ist das Eintauchen in die Welt der Patientinnen und Patienten essenziell für ein besseres Verständnis und eine gute Diagnose. „Jeder Mensch ist ein bisschen eine eigene Welt“, sagt Alain Keller. Mit diesen Worten rührt er uns sehr, als er über die Einzigartigkeit jedes Patienten spricht. A. Keller betont die Bedeutung des aktiven Zuhörens, besonders wenn Patientinnen und Patienten Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken oder ihre Beschwerden zu beschreiben. Deshalb bekommt das aktive Zuhören eine noch grössere Bedeutung. „Antennen-Ohren“, wie sie Alain Keller nennt, sind nötig, um alles zu erfassen. Jedes einzelne Detail, welches erwähnt wird, könnte Hausärztinnen und Hausärzten helfen, auf die richtige Spur zu kommen. Die Vorstellung, dass die Arbeit eines Hausarztes wie das Lösen eines Krimis ist, bei dem das Verbrechen die Beschwerde des Patienten darstellt, finden wir faszinierend.

Verschiedene Medizinische Diagnose-Instrumente
(Foto: Thuwaraka Amalathas)
Auszug aus dem Interview mit Alain Keller, Hausarzt.
Stärken und Schwächen als Hausarzt:Wo trifft 
Dr. med. Alain Keller auf Schwierigkeiten? 
Ich habe gute Antennen für die Patienten,
dass ich mittlerweile 
durch meine langjährige Erfahrung recht gut 
einschätzen kann, wo die Probleme sind. 
Dann kann ich sinnvolle Therapien und 
Pläne vorschlagen. 
Schwächen habe ich auch,
ich bin natürlich nicht perfekt. 
Manchmal gibt es Situationen,
in denen ich sage, im Nachhinein 
hätte ich das vielleicht anders machen können. 
Du machst auch Fehler und diese können 
in der Medizin recht gravierend sein. 
Du musst immer sehr genau und sorgfältig 
vorangehen, um möglichst Fehler zu vermeiden. 
Was auch ein Problem ist, ist die 
riesige Administration.
Der administrative Teil meiner 
Arbeitszeit nimmt tendenziell zu und 
dort fehlt mir manchmal die Geduld. 
Dort wünschte ich mir, ich wäre etwas geduldiger. 
Manchmal könnte ich das ganze administrative aus 
dem Fenster rauswerfen, aber ich muss die Arbeit 
trotzdem erledigen.
Auszug aus dem Interview mit Alain Keller, Hausarzt.
Wie ist die Organisation in einer ärztlichen Praxis geregelt? 
Die MPAs, die medizinische Praxisassistentinnen,
sind zuvorderst und sind die Agenda. 
Die MPAs kennen die Patient*innen, wissen,
welches Problem welcher Patient hat und wie viel Zeit
dieser Patient benötigt. 
Die MPAs machen die Einteilung und sind die ersten
Ansprechpartner*innen für die Patient*innen. 
Zum Glück sind unsere MPAs alle erfahren. 
Es sind jetzt drei, die arbeiten. 
Die MPAs machen am Telefon ein bisschen eine Triage, 
und schauen, wie dringlich ein Anliegen ist. 
Die Patienten fragen manchmal nach Kleinigkeiten 
wie Rezepte, Physioverordnungen usw., da braucht 
es mich nicht unbedingt. 
Ich werde am Schluss unterschreiben. 
Die MPAs schauen, dass die Praxis läuft.
Die Praxisorganisation liegt also in den Händen der MPAs.

Vertrauter des Patienten oder doch „nur“ Arzt?

Während unseres Gesprächs mit A. Keller wird uns klar, dass einem Arzt eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Sei es als Arzt in einem Krankenhaus oder in einer vertrauten Umgebung wie in einer Praxis. Alain Keller gehört zu denjenigen, die beide Rollen übernehmen. Wie unterscheiden sich diese aber nun? A. Keller erklärt, dass die Arbeit im Krankenhaus stark teamorientiert ist. Auf der Station im Krankenhaus ist die Teamarbeit mit dem Pflegepersonal und den anderen Ärzten und Ärztinnen sehr entscheidend, um eine bestmögliche Arbeit für die Patientinnen und Patienten leisten zu können. Der Fokus liegt auf die Betreuung der Patient*innen während ihrer Aufenthaltszeit in einem Krankenhaus. Nach der Aufenthaltszeit verliert der Arzt oder die Ärztin oft den Kontakt zu den Patientinnen und Patienten. In einer Hausarztpraxis sieht es jedoch komplett anders aus. Als Hausarzt stellt man über Jahre, in denen man die Patientinnen betreut und begleitet, eine enge Bindung und eine gewisse Vertrautheit her. Oft geht die ganze Familie der Patientinnen und Patienten zum selben Hausarzt, der sie betreut. Dies führt dazu, dass die Bindung gestärkt wird. Zudem wird das Verständnis der Hausärztinnen und Hausärzten für Patientinnen gestärkt, da die Hausärztinnen und Hausärzte die familiäre Situation kennen. Sie kennen die Geschichte der Patientinnen. Man sei nicht nur ein Arzt für sie, sondern auch ein Vertrauter, an den sich die Patientinnen und Patienten jederzeit wenden können, sagt Alain Keller. Wir erkennen, dass Hausärzte und Hausärztinnen nicht nur Diagnostiker sind, sondern auch Vertrauenspersonen.

Covid-19: Die Bewährungsprobe für das Gesundheitssystem

Das Coronavirus brach das erste Mal Ende 2019 aus und verbreitete sich weltweit sehr schnell. Die ersten Fälle in der Schweiz wurden im Februar 2020 registriert. Auf die rasche Verbreitung des Virus folgte die Covid-19 -Pandemie. Die Covid-19-Pandemie hat das Gesundheitssystem in verschiedenen Hinsichten auf die Probe gestellt. Einerseits musste in kürzester Zeit zahlreiche intensivpflegebedürftiger Patienten und Patientinnen wegen eines neuartigen Virus behandelt werden. Andererseits wurden, um ihnen eine angemessene Versorgung zu garantieren, die nicht durch Covid-19 bedingte Behandlungen reduziert. In den ersten beiden Jahren der Covid-19-Pandemie wurden allein in Europa mehr als 100 Millionen Fälle des Coronavirus registriert. Der Virus hat sich seit dem Beginn der Pandemie immer wieder verändert. Mit der Zeit sind neue Varianten des Virus entstanden. Während der Pandemie gab es immer wieder «Viruswellen», diese machten sich durch die ständigen unregelmässigen Infizierungswellen bemerkbar. Zur Vorbeugung des weltweiten rasanten Infizierungswachstums wurde neben den Massnahmen die Covid-19-Impfung eingeführt.

Labor in der Hausarztpraxis
(Foto: Lara Serin)

Während unseres Gesprächs verdeutlicht Alain Keller, wie die Corona-Pandemie eine enorme Herausforderung für alle im Gesundheitswesen darstellte. Er spricht über die intensiven Arbeitsbelastungen, denen Ärztinnen und Ärzte und andere Akteure und Akteurinnen im Gesundheitswesen ausgesetzt waren, obwohl das Risiko einer Ansteckung bestand, da viele Patientinnen akut ansteckend waren. In der Hausarztpraxis wurden die Hygienevorschriften verschärft, um einerseits die Patienteninnen zu schützen, andererseits aber auch um das Personal in der Praxis selbst vor einer Ansteckung mit dem Virus zu bewahren. Im Falle einer Pandemie braucht man selbstverständlich auch ein Notfallszenario, welches bei Ausfällen der Ärztinnen und Ärzten in Kraft tritt. In vielen Praxen, einschliesslich der Praxis von Herrn Keller, sieht die Notfallsituation folgendermassen aus: Die Patientinnen und Patienten benötigen einen Anhaltspunkt und werden deshalb dem Praxispartner übergeben. Somit wird der eigentliche Praxisarzt vom Praxispartner vertreten.

Obwohl die Covid-19-Pandemie für alle, besonders für das Gesundheitswesen, eine speziell grosse Herausforderung darstellte, liessen sich alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, nicht aus dem Konzept bringen. Es ist bewundernswert zu hören, wie die Ärzte und Ärztinnen trotz den damaligen Umständen weiterhin für das Wohl ihrer Patienten kämpften. Ein Einsatz, der von uns allen geschätzt und mit Respekt anerkannt werden sollte. Die Arbeit von Ärzten und Ärztinnen ist nämlich nicht nur während einer Pandemie, sondern jeden Tag von unschätzbarem Wert.


Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium, Obsan, letzte Änderung 2022, abgerufen am 20.05.2024: Obsan_BULLETIN_2022_04_d_0.pdf (admin.ch)

Bundesamt für Gesundheit, Covid-19, letzte Änderung: 29.02.2024, abgerufen am 03.05.2024: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/coronavirus/covid-19.html